Stockholm und die Reise ins eigene “Ich“ (Teil III)

Heute ist wieder einer der Tage, an denen ich euch von dem neu gewonnen Alltag hier in Schweden berichten möchte.

Natürlich ereignen sich nicht jeden Tag neue, spannende Dinge, so dass ich erst wieder ein bisschen meine Erfahrungen sammeln musste, damit ich euch etwas zu schreiben habe. Dabei komme ich mir manchmal vor, wie Frederik die Maus, die Sonnenstrahlen, Farben und Wörter sammelte, um so durch den Winter zu kommen und Träume zu haben. Meine Erfahrungen basieren weniger auf Sonnenstrahlen, dafür aber umso mehr auf Begegnungen mit Menschen, die wohl ebenso alle Träume haben wie Frederik und ich.

Foto: Anna

Mit der Jobsuche hier in Schweden hört man ganz schnell auf zu träumen und findet sich in der schonungslosen Realität wieder. Zwangsläufig erfordert das Neue, Ungewohnte eine reflexive Auseinandersetzung mit sich selbst, denn die von nun an neue und fortwährende Frage an sich selbst muss lauten: Was kann ich eigentlich? Welche Kompetenzen lohnen sich gefördert zu werden?

Hier in Stockholm Arbeit zu finden bedeutet, kreativ zu werden, über sich selbst hinaus zu wachsen, sich neue Wege zuzutrauen und den einen oder anderen Rückschlag zu verkraften.

Die Schweden legen bei Bewerbungen viel Wert auf Referenzen, was bedeutet, wenn man einmal Fuß gefasst hat und gute Referenzen bekommen hat, ist es wesentlicher einfacher sich erneut hier auf dem Arbeitsmarkt zu bewerben. Denn selbst wenn man mit deutschen Empfehlungen ausgestattet ist, so ist die Hemmschwelle diese deutschsprachigen Referenzen zu kontaktieren wohl größer als zu den eigenen Landsleuten Kontakt aufzunehmen.

Nach ungefähr zwanzig Bewerbungen und nur wenigen Reaktionen auf diese, bekommt man den ersten Dämpfer verpasst. Es beginnt die Zeit der Selbstzweifel. Die Frage danach, ob man alles richtig gemacht hat wird lauter und die Hoffnungen auf eine baldige Anstellung schwinden.

Ich muss zugeben, dass mich diese ersten “Abfuhren“ doch stark mitgenommen haben. Schließlich erfülle ich doch viele Kriterien, von denen immer wieder behauptet wird, dass sie gesucht werden. Ich bin jung, habe studiert, Praxiserfahrung ist vorhanden, ich spreche mittlerweile die Sprache ganz gut und ich bin flexibel!!! Da sollte sich doch etwas finden, oder nicht?

Ja, flexibel… Dies wird wohl mein ganz persönliches Unwort des Jahres 2011. Denn wie flexibel muss ich sein, um eine Anstellung zu bekommen? Muss ich etwa noch einmal ganz von vorne beginnen, gar erneut studieren, um auch hier Fuß zu fassen?

In solchen Momenten frage ich mich, wie die anderen 16.000 Deutschen, die das Statistische Bundesamt 2009 erfasst hat, in Schweden angekommen sind und ich sehne mich nach einem Kontakt zu Menschen, die einem neuen Mut machen.

Zur Ablenkung krame ich mein Lieblingsbuch hervor, welches ich nur weiterempfehlen kann. Francois Lelords “Hectors Reise oder Die Suche nach dem Glück“ ist in meinen Augen ein Meisterwerk und für alle diejenigen von euch gemacht, die sich manchmal auch fragen, was denn eigentlich Glück bedeutet. Wann ist man glücklich und gibt es eine allgemeine Definition von dem, was doch für jeden von uns unterschiedlich zu sein scheint?

Glück bedeutet trotz der stagnierenden Situation momentan für mich, dass ich ein weitestgehend gesundes Leben führe und Menschen um mich habe, die mich lieben. Dies ist mehr Wert als jede Arbeit!

Und dennoch definieren wir uns ja ein Stück weit über unsere Tätigkeit, unseren Beruf oder unsere Berufung. Ich für meinen Teil will arbeiten, meine Energie mit anderen teilen und von meinem Wissen abgeben können. Auch dies bedeutet Glücklichsein für mich.

Aber natürlich darf man sich vor dem Auswandern nie der Illusion hingeben, dass ein derartiges Land wie Schweden gerade auf eine Person mehr gewartet hat und einem die Jobs zu Füßen liegen. Zwangsläufig muss man neue Gewässer betreten. Und selbst als gute Schwimmerin ist dieses neue Gewässer für mich ungewöhnlich kalt und erfrischend zugleich. Den einzigen Fehler, den man nun bloß nicht begehen darf, ist, dass man sich umdreht und das altbewährte Ufer, die bekannte Sicherheit sucht.  Es gilt den Kälteschock zu überwinden und die neue Devise muss lauten: Weiterschwimmen, die Strömungen für sich ausnutzen, damit man nicht auf der Hälfte die Kraft verliert. Wer nun aufhört an sich selbst zu glauben, der hat bereits verloren.

An dieser Stelle habe ich vor einiger Zeit eine Schreibpause eingelegt, weil ich mich leer fühlte und genau in dieser Phase hat sich viel ereignet.

Ich habe meine erste Stelle angetreten und arbeite nun zumindest drei Tage die Woche mit dem, was ich studiert habe. Es ist nicht nur die Arbeit, die mich nun glücklich macht, sondern viel mehr das, was ich über mich in den vergangenen Monaten gelernt habe. Ich habe mir neue Dinge zugetraut, bin auf Interviews gewesen, von denen ich früher nie gedacht hätte, dass ich so etwas schaffen könnte und habe an neuer Selbstsicherheit gewonnen. Vor allem habe ich die Chance genutzt, mich selbst neu kennen zu lernen und mir unbekannte Dinge zuzutrauen. An dieser Stelle möchte ich euch ans Herz legen: Wenn ihr ernsthaft mit dem Gedanken spielt auszuwandern, oder auch nur für eine gewisse Zeit ins Ausland zu gehen und euch bewusst seit, dass es keine einfache Anfangszeit sein wird, dann solltet ihr es ausprobieren! Zurückkehren kann man in den meisten Fällen. Und auch wenn es nicht funktionieren sollte, so ist man um einige (Lebens-) Erfahrungen reicher. Die persönlichen Eindrücke kann einem niemand mehr nehmen, es erweitert den eigenen Horizont und ändert manchmal die ein oder andere Denkweise.

Ich könnte an dieser Stelle noch einiges berichten über die Erfahrungen im Sprachkurs, dem werde ich mich aber lieber in meinem nächsten Bericht widmen. Genauso wie ich euch erzählen werde, wie ich die schwedischen Arbeitsbedingungen empfinde.

Ich wünsche euch eine gute Woche, viele schöne Momente und dass ihr, jeder für sich, glücklich werdet.

Foto: Karoline Schnell

In diesem Sinne,

Anna

Autor(in): Anna-Maria – moll.anna@web.de

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