Erzählung einer Toten: Åsa Larssons Roman „Bis dein Zorn sich legt“

„Ich erinnere mich, wie wir gestorben sind.“ Åsa Larssons Roman „Bis dein Zorn sich legt“ beginnt mit einem wahren Hammer von Eröffnungssatz, der gleich ziemlich deutlich macht, dass man es hier auf keinen Fall mit einem 0815-Kriminalroman zu tun hat. Denn diejenige, die hier erzählt, ist eine Tote.

Ein Kunstgriff, der Larsson ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Denn die tote Wilma Persson ist weder durch Raum noch Zeit eingeengt und taucht so immer wieder an den unterschiedlichsten Stellen im Roman auf, um die Geschehnisse aus ihrem Blickwinkel und mit ihrem Wissen zu schildern. So trifft sie auf Staatsanwältin Rebecka Martinsson und deren – ebenfalls bereits verstorbene – Großmutter. Sie beobachtet einen weiteren Mord oder beschreibt wie ihre eigene Leiche gefunden wird. Letzteres eine besonders eindringliche Szene.

Doch was ist überhaupt passiert? Gleich zu Beginn werden wir Zeuge eines besonders brutalen Mordes. Wilma ist mir ihrem Freund Simon unterwegs, um in einem See nach einem alten Wrack zu tauchen. Es ist Winter, also heißt es, erstmal ein Loch in die Eisdecke hauen. Um dann, abgesichert durch eine Leine in die Tiefe zu gleiten. Doch trotz aller Vorsichtsmaßnahmen geht der Tauchgang schief. Die Sicherheitsleine reißt scheinbar und als Wilma zum Eisloch zurückkehrt, ist dieses durch eine alte Holztür abgedeckt. Kein dummer Zufall, wie Wilma feststellen muss, denn auf der Tür steht jemand. Wilma und Simon haben keine Chance.

Åsa Larsson führt auch mit ihrem neuesten Roman die Saga um Rebecka Martinsson fort, die mit „Sonnensturm“ begann. Martinsson – einst von Stockholm in ihre Heimat nach Kiruna zurückgekehrt – kämpft auch in „Bis dein Zorn sich legt“ wieder mit den Dämonen ihrer Vergangenheit. Und wirkt weiterhin zerrissen zwischen ihren Lebenswelten Kiruna und Stockholm.

Einen nicht unbeträchtlichen Teil des Romans verwendet die Autorin auf die privaten Lebensumstände Rebecka Martinssons. Deren Geschichte wird mit jedem Roman Schritt für Schritt weiterentwickelt. Larsson ist also bestimmt keine Autorin, die für rasantes Erzähltempo steht. Dafür schafft sie es, wie keine andere, Atmosphäre in ihren Krimis aufzubauen, die oft faszinierende, aber noch öfter dunkle, bedrückende und melancholische Stimmung des hohen Nordens einzufangen. Darauf muss man sich einlassen, und vielen mag die Fokussierung auf Rebecka Martinssons Innenleben als Gefühlsduselei vorkommen. Andere mögen die Bücher gerade deshalb. Vor allem, wenn man die Geschichte Rebecka Martinssons von Anfang an verfolgt.

Ein Muss ist das jedoch nicht. Selbstverständlich lässt es sich auch mit „Bis dein Zorn sich legt“ gut einsteigen. Was sicher keine schlechte Wahl ist, denn Åsa Larssons vierter Roman stellt den bisherigen Höhepunkt in ihrem Schaffen dar. Wozu nicht zuletzt die ungewöhnliche Erzählperspektive beiträgt. Larsson ist ein ganz besonderer Krimi gelungen. Der auch aus dem großen Angebot an „Schwedenkrimis“ noch heraussticht.

Autor(in): Sven Weiss – sv.weiss@gmx.de

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