Ein Verordnungswirrwarr, das eigentlich gar keins ist
Menschen stehen im Zusammenhang mit einer geplanten Auswanderung vor vielfältigen Aufgaben und Fragestellungen. Plant man einen dauerhaften Umzug von Deutschland nach Schweden, so gestaltet sich dies aufgrund der EU-Zugehörigkeit beider Staaten in vielen Bereichen recht einfach. Die Mitgliedstaaten haben in den zurückliegenden Jahren durch entsprechende Vereinbarungen versucht sich anzugleichen, um die teilweise doch äußerst unterschiedlichen Systeme aufeinander abzustimmen. So gibt es beispielsweise bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Schweden und Deutschland, die Freizügigkeit ist innerhalb der EU geregelt und es existieren noch unzählige andere Verordnungen, die die Beziehungen aller Mitgliedstaaten zueinander in möglichst allen Bereichen reglementieren aber auch vereinfachen sollen.
So müssen sich viele deutsche Auswanderer unter anderem mit steuerrechtlichen Aspekten beschäftigen oder auch mit der Vorgehensweise, wie man beispielsweise seinen in Deutschland zugelassenen PKW für den schwedischen Straßenverkehr zulassen kann. Viele Deutsche in Schweden beschäftigt aber vor allem die Frage, wie man möglichst schnell an die schwedische personnummer kommt, eine 10-stellige Nummer, die in Schweden viele Dinge des täglichen Lebens erheblich erleichtert. Die personnummer begleitet einen gebürtigen Schweden sein ganz Leben lang. Von Geburt an ist jeder Schwede mit dieser Nummer vollumfänglich in das schwedische Sozialsystem integriert, zum Beispiel auch vom ersten Lebenstag an krankenversichert.

(Foto: Kristin Lidell / imagebank.sweden.se).
Die Krankenversicherung ist ein absolutes Muss
Die Krankenversicherung ist aufgrund ihrer immensen individuellen Bedeutung dann wohl auch eine der wichtigsten Dinge für die Menschen, die in Schweden einen neuen Lebensabschnitt beginnen möchten. Die Gegebenheiten in Bezug auf die Krankenversicherung sind oftmals sehr verschieden. Wie bin ich beispielsweise als Student krankenversichert, wie als zunächst Arbeitssuchender, als Rentner/Pensionär und auch als jemand, der über viele Jahre von seinem Ersparten oder beispielsweise einer Erbschaft in Schweden ein gutes Leben führen möchte? Es gibt aber auch die Menschen, die nach Schweden umziehen und bereits einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit einem schwedischen Unternehmen in der Tasche haben, vielleicht verfügt man aber auch über gute Voraussetzungen sich in Schweden selbständig zu machen. Wie ist es in einem solchen Fall mit denen? Oder mit Empfängern einer Hinterbliebenenrente, die sich noch nicht im Altersruhestand befinden?
Immer wieder liest man, dass man mit dem Erhalt der schwedischen personnummer auch automatisch in Schweden krankenversichert ist. Viele alteingesessene Deutsche raten dann in diversen Internet-Foren sogar dazu eine noch vorhandene deutsche Krankenversicherung mit Erhalt der personnummer sofort zu kündigen, weil man von diesem Tag an angeblich doppelt versichert wäre! Eine solche generelle Aussage ist aber nur in den wenigsten Fällen richtig und demzufolge auch besonders gefährlich, denn die personnummer sagt tatsächlich nichts darüber aus, ob man in Schweden krankenversichert ist. Mit der personnummer wird lediglich bestätigt, dass man in Schweden amtlich gemeldet ist. Mehr aber auch nicht!
Keine Leistung ohne Beiträge
Das schwedische Sozialsystem wird allein über die sich aus einer Einkommenssteuerpflicht ergebenen Abgaben von Arbeitnehmern und Selbständigen finanziert. Zum Sozialsystem gehört auch die einzige schwedische Krankenversicherung, die staatliche försäkringskassa. Somit sind in Schweden auch nur die Einwanderer vollumfänglich über den schwedischen Staat krankenversichert, die durch ihre selbständige oder nichtselbständige Tätigkeit, mit der sich daraus ergebenen Einkommenssteuer in das dortige Sozialsystem eingezahlt haben.
Ein Art Sonderstellung nehmen die deutschen Rentner ein, die ihren Lebensabend in Schweden verbringen möchten und ihren Hauptwohnsitz dort anmelden. Altersrentner bekommen dann auch ohne Probleme eine personnummer, wenn sie nachweisen können, dass sie sich mit ihrer deutschen Rente in Schweden hinreichend versorgen können UND über eine umfassende deutsche Krankenversicherung verfügen. Letzteres ist über die Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner gewährleistet, deren Beitrag monatlich von der deutschen Rentenzahlung einbehalten wird. Als Versicherungsnachweis lässt das schwedische Finanzamt (skatteverk), bei dem der zukünftige ständige Wohnsitz für einwandernde EU-Bürger angemeldet werden muss, das EU-einheitliche Formular S1 gelten.
Ein S1-Formular bekommen ebenfalls die deutschen Einwanderer von der Gesetzlichen Krankenkasse ausgestellt, in der sie zuletzt versichert waren. Dies betrifft Personen, die nach Schweden umziehen und dort künftig von ihrem Ersparten leben möchten oder weil sie beispielsweise über regelmäßige Einkünfte, wie eine Hinterbliebenenrente, Leistungen aus einer Unfallkasse oder auch anderen höheren Einkünften aus Deutschland verfügen, die ihnen regelmäßig zur Verfügung stehen, wie beispielsweise in Deutschland erzielte Mieteinnahmen. Diese Personengruppen müssen sich jedoch vor ihren Umzug nach Schweden freiwillig in der deutschen Gesetzlichen Krankenversicherung versichern, um das besagte S1-Formular für die schwedische Wohnsitzanmeldung zu erhalten. Ihren monatlichen Krankenversicherungsbeitrag zahlen diese Personen dann eigenständig an die deutsche Krankenversicherungsgesellschaft.
Eine EU-einheitliche Regelung
Wichtig ist jedoch, was sich eigentlich hinter diesem S1-Formular verbirgt. Die formularausstellende Krankenversicherungsgesellschaft bestätigt dem ausländischen Sozialversicherungsträger mit diesem Dokument nämlich, dass für den Versicherten in Deutschland eine gültige Krankenkasse existiert, die auch noch wenigstens ein Jahr lang nach dem Ausstellungsdatum gültig sein muss. Mit dem Formular stellt die jeweilige Krankenversicherungsgesellschaft aber auch sicher, dass sie sich an die EG-Verordnungen 883/2004 und 987/2009 gebunden sieht, die die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der EU-Mitgliedstaaten untereinander zum Inhalt haben.
Unter anderem sind in diesen beiden Verordnungen die Verfahrensweisen und Kostenerstattungen im Krankheitsfall aber auch bei Inanspruchnahme der Gesundheitsvorsorge geregelt, für die Bürger eines EU-Mitgliedstaates, die sich dauernd oder auch nur vorrübergehend in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufhalten. Im Fall der Vereinbarung zwischen Schweden und Deutschland bedeutet dies, dass die deutsche Krankenkasse, für die im S1-Formular näher benannte Person, an den schwedischen Sozialversicherungsträger jährlich einen Pauschalbetrag zahlt, mit dem die Kosten des schwedischen Gesundheitssystems abgedeckt werden. Dieser Pauschalbetrag richtet sich nach dem Alter des Versicherten und wird regelmäßig angepasst.
Dieses Prozedere wird für den weiterhin in Deutschland Krankenversicherten nicht wahrnehmbar unter den Sozialversicherungsträgern organisiert. Der deutsche Auswanderer hat nur dafür zu sorgen, dass er aus seinen zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln monatlich seinen Beitrag an die deutsche Gesetzlichen Krankenversicherung überweist. Dann kann dieser Versicherte, im gleichen Maße wie jeder andere in Schweden wohnende Bürger auch, das schwedische Gesundheitssystem nutzen. Wie jeder Schwede auch muss er beispielswese seine Medikamente selbst zahlen, bis er eventuell die dafür vorgesehene Höchstgrenze pro Jahr erreicht hat, und leistet bei seinen Arzt- und Krankenhausbesuchen seine Patientenabgabe. Zu Vorsorgeuntersuchungen wird der nach Schweden eingewanderte Deutsche durch die försäkringskassa eingeladen und selbstverständlich muss er dafür auch nichts aus eigener Tasche bezahlen. Der Eingewanderte gibt zukünftig bei Arztbesuchen oder Krankenhausaufenthalten nur seine personnummer an und muss nichts weiter beachten, denn abgerechnet wird ja untereinander.
Das Gleiche gilt beispielsweise auch, wenn ein zuvor in Deutschland wohnhafter Schwede, der dort auch lange Zeit gearbeitet hat, seinen Wohnort wieder nach Schweden zurückverlegt. War er aufgrund seiner vorherigen Beschäftigung in Deutschland gesetzlich krankenversichert, muss er sich auch weiterhin in Deutschland krankenversichern, und dass obwohl er immer noch seine seit seiner Geburt gültige schwedische personnummer besitzt. Auch von ihm verlangt das schwedische Finanzamt das hier mehrfach erwähnte S1-Formular von seiner deutschen Krankenkasse.
Privaten Krankenversicherungsgesellschaften dürfen das S1-Formular nicht ausstellen, aber ähnlich lautende Dokumente, die vom schwedischen Finanzamt in gleicher Weise anerkannt werden. Dies betrifft dann frühere Selbständige oder Beamte.
Kündigt man seine deutsche Krankenversicherung, obwohl man nie in das schwedische Sozialsystem eingezahlt hat, dann ist man theoretisch ohne jeglichen Krankenversicherungsschutz. Ohne Probleme kann das Versicherungsverhältnis gekündigt werden, wenn der in Schweden Wohnende dort eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nachgeht, egal ob als Arbeitnehmer oder aufgrund einer selbständigen Tätigkeit.
Wie funktioniert das Gesundheitssystem in Schweden?
Zuallererst setzt man in Schweden auf die Eigenverantwortung der Patienten. Für eine erste telefonische Beratung im Krankheitsfall steht jedem, der über eine personnummer verfügt die landesweit einheitliche Servicenummer 1177 zur Verfügung. Nach der telefonischen Erstberatung treten die rezeptfreien Medikamente bei einfacheren Beschwerden oftmals in den Vordergrund des Behandlungsverlaufs. Sofern nach einigen Tagen keine Besserung eingetreten ist, wird jedoch eine ärztliche Untersuchung empfohlen. Für Arzt- und Krankenhausbesuche müssen Patienten einen Eigenanteil tragen. Die Höhe kann dabei zwischen 100 und 400 SEK betragen und ist abhängig davon, ob man als Patient von einer Krankenschwester oder von einem Hausarzt in der vårdcentral behandelt wird oder von einem Facharzt im Krankenhaus (sjukhus). Auch für Besuche, beispielsweise beim Chiropraktiker, Physiotherapeuten oder Diätassistenten, werden diese Patientenabgaben erhoben und betragen im Raum Stockholm in diesen Fällen 200 SEK je Besuch, können je nach Region aber auch etwas abweichen. Ab einem bestimmten Maximalbetrag pro Jahr sind Patienten von der Zuzahlung für Behandlungen und Medikamente befreit.
Für die üblichen Impfungen werden keine zusätzlichen Kosten berechnet, genauso wenig wie für Vorsorgeleistungen, beispielsweise der Mammografie bei Frauen über 40, auch eine Patientenabgabe fällt dann nicht an.
Lange Wartezeiten
Fast schon sprichwörtlich ist in manchen Gegenden Schwedens die lange Wartezeit auf einen Facharzttermin oder auf eine Krankenhausbehandlung. In den dünnbesiedelten nördlich gelegenen Regionen Schwedens ist auch die medizinische Versorgung oft nicht mit dem Standard zu vergleichen, mit dem man im Süden des Landes rechnen kann. Aber egal wie mitunter auch über das schwedische Gesundheitssystem im Vergleich mit dem deutschen diskutiert wird. Man sollte dabei nicht vergessen, dass die Lebenserwartung der Schweden höher ist als die der deutschen Bevölkerung (Schweden: Männer = 81,3, Frauen = 84,7; Deutschland: Männer = 78,6, Frauen = 83,4, Stand: 2019). Nun könnte man natürlich anfügen, dass in Schweden allgemein ein stressfreieres Leben möglich ist und dieser Unterschied nicht unbedingt auf das Gesundheitssystem beider Länder zurückzuführen ist, dennoch wird einem auch in Schweden im Krankheitsfall geholfen.
Von langen Wartezeiten kann man hingegen nicht sprechen, wenn es beispielsweise darum geht ein Rezept zu erneuern. Man muss sich dafür nur über seine personnummer auf der Homepage 1177.se einloggen und kann darüber sein Rezept bei seiner vårdcentral anfordern. Dies erfolgt elektronisch und so muss man letztendlich später bei einer schwedischen Apotheke nur noch seine personnummer angeben und bekommt die verschriebenen Tabletten, egal wo auch immer man sich im Land befindet. Auf der Homepage 1177.se beispielsweise kann auch jeder seine Befunde einsehen, seine Impfungen, gebuchte Termine werden dort hinterlegt und man ist stets informiert über die Summe, die innerhalb eines Jahres noch gezahlt werden müsste, bis der Maximalbetrag erreicht ist. Die Digitalisierung macht tatsächlich vieles einfacher.
Die Zahnbehandlung im schwedischen Gesundheitssystem
Auch für die Zahnbehandlung muss man in Schweden einen gewissen finanziellen Eigenanteil selbst tragen. So können Leistungen für einige Altersgruppen günstiger ausfallen. Menschen bis zu einem Alter von 24 Jahren zahlen für die Zahnpflege beispielsweise nichts dazu. Die Höhe des Eigenanteils richtet sich aber auch nach der zu zahlenden Gesamtsumme. So kann sich bei einer zu zahlenden Gesamtsumme von 20.000 SEK die Zusammensetzung des Eigenanteils beispielsweise wie folgt berechnen:
Bis zu einer Summe von 3.000 SEK muss der Patient die Rechnung allein zahlen. Für die nächsten 12.000 SEK, also 3.001 SEK bis zu 15.000 SEK, müsste er die Hälfte übernehmen. Das macht dann 6.000 SEK. Für die Kosten, die die 15.000 SEK letztendlich übersteigen, zahlt der Zahnarztpatienten dann einen Eigenanteil von 15%. Bei der so entstandenen Differenz von 5.000 SEK (von 15.001 SEK bis 20.000 SEK) macht dies nur noch 750 SEK aus. Somit zahlt man für diese zahnärztliche Leistung in Schweden insgesamt einen Eigenanteil von 9.750 SEK (3.000 + 6.000 + 750). Jedoch muss man auch stets darauf achten, dass für zahnmedizinische Leistungen Referenzpreise gelten, die bei der försäkringskassa geltend gemacht werden können. Manche Zahnärzte weichen mitunter bei ihrer Preisgestaltung von denen ab und möchten einige Leistungen besser bezahlt bekommen. Die Differenz zwischen den festgelegten Referenzpreisen der försäkringskassa und der tatsächlichen Abrechnung des jeweiligen Zahnarztes hat der Patient dann zu 100% selbst zu zahlen.
Bei all dieses Leitungen macht das schwedische Gesundheitssystem keinen Unterschied bei der Behandlung von Patienten, die über eine schwedische personnummer verfügen. Die Abrechnung der Ärzte, Krankenhausaufenthalte, Therapeuten usw. erfolgt über die försäkringskassa, auch für die deutschen Einwanderer mit personnummer aber ohne schwedische Einkünfte. Bei Letzteren schöpft die försäkringskassa aber aus der Pauschalsumme, die die deutsche Krankenkasse alljährlich an die försäkringskassa für den Patienten überweist.
Autorin: Ramona Heuckendorf – joergasmus@hotmail.com