Wohlfahrtsstaat Schweden und die Not des Gesundheitssystems

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Schweden galt viele Jahre als vorbildlicher Wohlfahrtsstaat, besonders das Gesundheitssystem betreffend. Denn in Schweden gibt es keine privaten oder gesetzlichen Krankenkassen, wie in Deutschland; rein theoretisch also auch keine Patienten erster oder zweiter Klasse. Dort ist jeder Bürger automatisch krankenversichert, da die Gesundheitvor- und Nachsorge steuerfinanziert wird.

Doch so schön sich das alles anhören mag, desto unschöner läuft es Tag für Tag in der Praxis. Trotz sehr hoher Steuern leidet das System unter Geldnot. Das ist also auch nicht viel anders, als in anderen Ländern. Der Unterschied: In Deutschland wird etwa 11,1 Prozent* des Bruttoinlandprodukts in Gesundheit investiert, in Schweden sind es nur 7,4 Prozent*.

Während man bei uns pro Quartal eine Praxisgebühr entrichten muss, werden dort pro Besuch zwischen 25 und 30 Euro** veranschlagt. Da überlegt man sich natürlich genau, ob eine Arztkonsultation wirklich notwendig ist. Und dabei kann das, gerade im Bereich Vorsorge, doch manchmal so entscheidend sein. Dazu kommt, dass auch Medikamente bis zu einer Summe von 180 Euro im Jahr vom Patienten selbst getragen werden müssen.

Wie bei uns wird bei einem Krankhausaufenthalt eine Bettengebühr pro Tag fällig, die derzeit bei 8 Euro liegt. Dabei sind weitere Behandlungen durch das Facharztpersonal aber nicht inklusive. Sie schlagen zusätzlich einer Summe zwischen 16 und 32 Euro zu Buche.

Noch schlimmer geht es bei Zahnarztbesuchen zu, denn dort greift das Gesundheitssystem überhaupt nicht. Nicht nur jeder einzelne Besuch muss gezahlt werden, sondern auch alle Leistungen – von Bohren, Zähne ziehen bis hin zu Zahnstein entfernen. Menschen, die sich notwendige Behandlungen nicht leisten können, sehen sich vor einem riesigen Bürokratiedschungel. Zwar kann man eine Ratenzahlung beantragen, diese gilt jedoch nicht für Beträge unter 300 Euro. Wendet man sich in seiner Not an das Sozialamt, ist es keine Seltenheit, dass man die Empfehlung bekommt, sein Auto zu verkaufen. Eine Situation, die über kurz oder lang sicher dazu führen wird, dass die Zahngesundheit im Land sich erheblich verschlechtern wird.

Ja, Mediziner verdienen in Schweden mehr Geld als in Deutschland, haben allgemein mehr Freizeit und flexiblere Arbeitszeiten. Auch die technische Ausrüstung ist fast überall auf höchstem Niveau.
Aber was bringt das, wenn die Leute zuhause sitzen und nicht wissen, ob sie sich den nächsten Arztbesuch leisten können?
Dazu kommen wegen des Ärztemangels auch noch Warteschlangen bei Sprechzeiten und lange Wartezeiten für Operationen.

Sorry Schweden, wir lieben dich. Aber auch bei Dir ist leider nicht alles Gold, was glänzt.

* Stand 2006
** Stand 2010 (Stockholm)

  • Weitere Infos zum Gesundheitssystem gibt es hier

Autorin: Nicole Schmidt – text.assistant@yahoo.de

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