Siezt Du noch oder duzt Du schon? Zur „IKEAisierung“ unserer Gesellschaft

IKEA in Hamburg-Schnelsen. Foto: Sven

Neulich bei IKEA: Ich bin auf der Suche nach einem bestimmten Möbelstück und wende mich an eine der Mitarbeiterinnen. Freundlich gibt sie mir Auskunft und redet mich dabei wie selbstverständlich mit „Du“ an. Innerlich zucke ich zusammen, bin versucht, sie zu fragen, warum Sie sich das Recht herausnimmt, mich zu duzen. Das legere „Du“ ist allerdings längst schon Programm beim schwedischen Möbelriesen. Aus der Werbung kenne ich das bereits. Nur im persönlichen Kontakt fühlt es sich etwas fremd an. Noch. Denn was erstmal nur eine clevere Imagekampagne eines Möbelhauses ist, trägt stark zu einem Phänomen bei, das man die „IKEAisierung“ unserer Gesellschaft nennen könnte.

Neulich bei Freunden: Man unterhält sich über die köstlichen Köttbullar. Jeder kennt sie, jeder mag sie. Auch wenn so gut wie keiner weiß, wie man sie ausspricht, weiß so ziemlich jeder wie sie schmecken. Noch vor 10 Jahren war das sicher nicht der Fall. Damals kam man noch mit den guten alten Frikadellen klar.

Dass wir Dinge aus anderen Kulturkreisen übernehmen, ist normal, war schon immer so und ist auch gut für eine offene Gesellschaft. Am besten zu beobachten ist dieses Phänomen sicher anhand der starken amerikanischen Einflüsse. Die Dominanz der anglo-amerikanischen Kultur, besonders in der jüngeren Generation, führt ganz automatisch dazu, dass viele englischsprachige Ausdrücke in den deutschen Sprachgebrauch übernommen werden. So trifft man sich heutzutage zu einem Date, schlägt sich beim all-you-can-eat-Buffet den Magen voll, nimmt sich vielleicht noch einen Coffee to go, bevor man sich den neuesten Blockbuster ansieht und den Abend bei einer After-Work-Party beschließt.

Ebenso werden viele ursprünglich amerikanische Traditionen übernommen. Kaum jemand trinkt seinen Kaffee mehr aus dem Kännchen. Stattdessen nimmt man lieber einen übergroßen Plastikbecher mit Deckel und Trinköffnung. Und welches Kind kennt heute noch St. Martin? Stattdessen sind Jahr für Jahr mehr Knirpse an Halloween unterwegs und spielen Trick or Treat.

Der Himmel ist blau-gelb, die deutsche Sprache bald auch? Foto: Sven

Dass die Weltmacht USA einen starken kulturellen Einfluss ausübt, ist nahe liegend. Aber das kleine Schweden? Das hat – relativ zu seiner Einwohnerzahl – ein geradezu gigantisches Gewicht. Wir lesen Bücher von Mankell, Nesser, Stieg Larsson oder hören Musik von Mando Diao, Roxette, Moneybrother oder The Cardigans. Unsere Kinder wachsen mit den Geschichten von Astrid Lindgren auf. Und in wohl fast jedem Haushalt finden sich schwedische Selbstbau-Möbel.

Die eigenwilligen Bezeichnungen selbiger Möbel führen dazu, dass der deutsche Normalbürger bestens mit schwedischen Orten wie Sandhem oder Vaxholm vertraut ist – ebenso wie mit Begriffen wie Udden oder Värde. Denn IKEA verkauft nicht nur Möbel sondern ein Image. Das Image von Schweden. Dazu gehören dann auch leckere Pepparkakor oder Bilar aus dem Schwedenshop. Oder eben die allseits beliebten Köttbullar, die es auf viele Speisepläne junger deutscher Familien geschafft haben.

Und dazu gehört auch, dass man beim Einkauf geduzt wird. 2004 hatte IKEA in Deutschland die Direktive ausgegeben, Kunden zu duzen – sowohl bei Print-Werbung als auch im persönlichen Gespräch. Die Reaktion war erwartungsgemäß zweigeteilt. Während viele die Modernität des Unternehmens begrüßten, fühlten sich andere zu nahe getreten. „Ich möchte selbst entscheiden, wann ich von jemandem geduzt werde“, „Ich fühle mich in meiner persönlichen Sphäre verletzt.“ „Ich bin doch gar kein Freund von IKEA.“ So oder ähnlich waren viele Reaktionen. IKEA jedoch verfolgt seine Linie konsequent. Wir mögen hier in Deutschland sein, innerhalb der blau-gelben Mauern gelten schwedische Regeln.

Das System funktioniert. So weiß heute zum Beispiel ein großer Teil der Deutschen, wann der Tag des Heiligen Knut ist – vor 20 Jahren absolutes Insiderwissen. Denkt man nun ein wenig weiter, stellt sich die Frage, ob IKEA die Grundlagen dafür schaffen kann, dass die Höflichkeitsform in Deutschland abgeschafft wird. Die Antwort lautet: Durchaus denkbar.

IKEA-Werbeplakat: Ein Hurra auf unsere lebendige Sprache! Foto: Sven

In vielen Weltsprachen gibt es keine Höflichkeitsform mehr, nur das einfache „Du“. Aber ob Englisch oder eben Schwedisch – das war nicht immer so. Zu einem gewissen Zeitpunkt wurde auf die umständliche Höflichkeitsform verzichtet. In Schweden gar nicht so lange her. Erst in den 60er-Jahren fand dort die Umstellung statt. Seither wird das „Sie“nur in wenigen Ausnahmefällen benutzt, zum Beispiel bei Mitgliedern der königlichen Familie.

Früher oder später wird das „Sie“ auch in Deutschland fallen – nicht nur, weil es hier keinen König gibt. Was in vielen Unternehmen intern bereits gang und gäbe ist, wird sich auch extern mehr und mehr durchsetzen. So folgte Apple 2009 dem Beispiel IKEA und begann seine Kunden zu duzen. Irgendwann wird es normal sein, jedermann zu duzen. Ich werde nicht mehr zusammenzucken, wenn mich ein Verkäufer im Laden einfach mit „Du“ anspricht.

Der Weg dahin scheint unaufhaltsam, sowieso. Gut möglich jedoch, dass IKEA diese Entwicklung wesentlich beschleunigt. Du wirst sehen.

 

 

Autor(in): Sven Weiss – sv.weiss@gmx.de

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