Lagom – und die Leichtigkeit des Seins

© Gerd Altmann / pixelio.de

Jedes Land hat den einen oder anderen Begriff, den man nicht so ohne weiteres in fremde Sprachen übersetzen kann. Und ich glaube, genau diese Wörter sind es, die eine Nation und ihren Lebensstil, vielleicht auch ihr Lebensgefühl, am besten beschreiben können.

Bei uns Deutschen ist es zum Beispiel das Wort „Fernweh“. Ja, es lässt sich irgendwie übersetzen und erklären, aber es verliert dabei etwas von seiner Eigenheit. Auf Englisch sagt man zum Beispiel „travel bug“ oder „wanderlust“. Das bedeutet aber nichts weiter, als Reisefieber oder eben die Lust zu Reisen, während Fernweh mit Sehnsucht und auch mit etwas Schmerz verbunden ist. Unser Wort ist viel tiefer und viel poetischer: Der Deutsche träumt von fernen Ländern, von Abenteuern, von einem anderen Leben da draußen.

Einzigartig und unübersetzbar

Auch die Schweden haben so ein Wort, das einzigartig ist – und das ist „lagom“. Wollte man es übersetzen, dann käme etwas wie „gerade richtig“ oder „gut genug“ dabei heraus. Das Wort lagom bezeichnet das Mittelmaß – aber nicht im schlechten Sinne. Lagom entspricht der schwedischen Mentalität sich nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. Viele Schweden sind zurückhaltend, heben sich nicht gern hervor und empfinden es auch als aufdringlich, wenn andere Menschen es tun. Man mag keine Extremen. In Schweden muss alles nur „gerade richtig“ sein – und dann ist es perfekt.

Nun ist es ja nicht weiter verwunderlich, dass man es toll findet, wenn alles gerade richtig und wunderbar läuft. Was den Schweden aber ausmacht, ist, dass er bei allem und jedem diesen Zustand der Zufriedenheit erreichen. Der Verkehr stockt immer wieder, aber man kommt voran – es ist lagom. Die Portion im Restaurant ist nicht wirklich groß, der Schwede findet sie lagom. Der Himmel ist blau, aber mit vielen Schleierwolken durchzogen, der Schwede findet ihn genau richtig. Eine Frau trägt ein niedliches Kleid, und obwohl es sicher tausend schönere gibt, ist genau dieses einfach passend und lagom. Ein Zustand der Zufriedenheit – ohne ständiges Streben nach Höherem!

Mittelalterhandschrift

Im Mittelalter steht „lagom“ für Recht und Ordnung. Hier die Handschrift eines Gesetzestexts von Magnus Eriksson, anno 1341.

Viele Schweden glauben, dieses eigenartige Wort würde von einem alten Mythos herrühren. Der besagt, dass es in Wikingerzeiten einen Trinkbecher gab, der so viel Flüssigkeit enthielt hat, dass eine gesamte Mannschaft davon ihren Durst stillen konnte – aber auch keinen Tropfen mehr. „Laget om“ sagte man, was „einmal für die ganze Mannschaft“ bedeutet: Genau so viel, dass es für alle reicht.

Linguisten sind „Lagom“ auf der Spur

Ein Mythos, der sich hält – obwohl Linguisten ihn schon widerlegt haben. Denn in Wirklichkeit stammt das Wort „lagom“ vom damaligen Dativ Plural des Wortes „lag“ (= Gesetz oder Ordnung). Und das hieß dann so viel wie „gemäß rechter Ordnung“.

Und das passt ebenfalls: denn „so wie es ist, so ist es in Ordnung“. Macht man sich mit dieser Einstellung das Leben nicht unendlich leicht? Man weiß, dass alles auch besser, schneller, größer und schöner geht. Aber wenn es okay ist, dann ist es genau richtig. Mehr strebt man nicht an, mehr erwartet man nicht von anderen.
Bist Du nicht auch neidisch, dass Du nicht mit dieser perfekten Gelassenheit groß geworden bist?

Autorin: Nicole Schmidt – text.assistant@yahoo.de

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