Die dunklen Abgründe der Seele: Krimi-Autorin Karin Alvtegen

Karin Alvtegen bei der Buchmesse in Göteborg

Och nö. Schon wieder eine schwedische Krimi-Autorin? Wer genug von depressiven Kommissaren hat, darf es ruhig trotzdem mit Karin Alvtegen probieren. Die Smålanderin geht ihren eigenen Weg, und der führt sie auf neue und überraschende Pfade. Alvtegen begnügt sich nicht damit, einen Ermittler in immer wieder neue Fälle zu verstricken, sondern konstruiert hochkomplexe Handlungsstränge, die trotz allem wohl kalkuliert und durchdacht daherkommen.

Bereits bei ihrem Debüt zeichnete sich ihre Fähigkeit ab, ungewöhnliche Geschichten stringent und hochspannend zu erzählen. „Schuld“ beginnt mit einer geradezu bizarren Szene: Ein Mann wird von einer fremden Frau angesprochen, die ihn bittet, ihrem Ehemann ein Paket zu überbringen. Darin befindet sich ein abgeschnittener Zeh. Aus dieser Ausgangssituation entwickelt sich eine Geschichte, die fortwährend neue Kapriolen schlägt und dabei schockartig, dann wieder sehr subtil, zwischen Wahnsinn, Horror aber auch Humor und versteckter Romantik pendelt.

In „Die Flüchtige“ erzählt Alvtegen die Geschichte einer jungen Frau, die nicht existiert. Und doch Verdächtige in einem Mordfall ist. „Der Seitensprung“ steht am Anfang des gleichnamigen Romans, der sich zu einer bitterbösen, nervenzerreissenden Racheorgie entwickelt.

Ihr (bisher) absolutes Meisterwerk lieferte Alvtegen 2007 mit „Schatten“ ab. Wieder entfaltet sich die Handlung um eine äußerst ungewöhnliche Ausgangssituation: Der Literaturnobelpreisträger Axel Ragnerfeldt ist nach einem Schlaganfall körperlich völlig gelähmt, sein Geist ist jedoch noch hellwach. So bleibt er hilflos, während seine große Lebenslüge kurz vor der Entdeckung steht.

Um die Person des Schriftstellers rankt sich ein Geflecht von – scheinbaren – Nebenschauplätzen, Familienmitgliedern, Freunden, die alle auf ihre Weise Teil einer schrecklichen Historie sind. Wie die Autorin dabei die verschiedenen Erzählstränge um die Themen Schuld und Sühne, Kunst und Können sowie Familie und Abhängigkeit knüpft, sucht seinesgleichen. Scheinbar unabhängige Handlungsebenen fügen sich zu einem Großen und Ganzen, wobei es immer wieder überraschende und höchst dramatische Wendungen gibt.

Ebenfalls hervorheben sollte man die erzählerische Kunst der Autorin, der es gelingt, unheimlich intensive und punktgenaue Portraits zu zeichnen, tiefe psychologische Abgründe auszuleuchten und mit ihrer klaren Sprache Situationen nicht nur einzufangen sondern im Kern zu treffen. Ihre ganze Virtuosität zeigt sich in den subtilen Zwischentönen, den Vorgängen, die gar nicht erzählt werden, die aber bei Alvtegen immer vorhanden sind. Nicht zuletzt diese Sprachkunst hebt sie weit über den Rang einer weiteren skandinavischen Krimi-Produzentin unter vielen hinaus und macht Karin Alvtegen zu einer wahrhaft großen Schriftstellerin.

Darüber, woher das Talent, die überbordende Fantasie der Autorin kommt, darf man spekulieren. Und landet dabei schnell bei ihrer Familie. Denn Alvtegen ist die Großnichte von niemand geringerem als Astrid Lindgren. Die große Familientradition hält Alvtegen aufrecht. Wenn auch auf ihre Weise – mit wesentlich düsteren Themen als ihre Großtante.

In ihrem Heimatland weiß man dies auch durchaus zu schätzen – Spitzenpositionen auf den Bestsellerlisten und zahlreiche Auszeichnungen künden von Alvtegens Popularität. Deutschland hinkt hier noch etwas nach. Vielleicht liegt es daran, dass sich ihre Romane den gängigen Mustern widersetzen. Doch gerade deshalb sei die Autorin jedem ans Herz gelegt – als „Gerade-noch-Geheimtipp“. Wer weiß, wie lange noch?

Autor(in): Sven Weiss – sv.weiss@gmx.de

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